Wieder in Bangui

Mehrere Monate sind seit meinem letzten Eintrag vergangen. Wieder war die Technik „schuld“, noch immer haben wir nämlich kein Internet in Mobaye, so dass ich direkt von dort berichten könnte.

Im August/September hatte sich für mich ziemlich spontan die Möglichkeit aufgetan, in diesem Jahr nach Deutschland zu reisen. Schön war es, wenn auch unter „Corona-Bedingungen“.

Nach meiner Rückkehr in die Zentralafrikanische Republik war unser Terminkalender in Mobaye auch schon wieder bis zum Rand gefüllt: Diözesanversammlung mit Priesterweihe in Alindao, Diözesanwallfahrt bei uns in Pengue, Pastoralbesuch unseres Bischofs Cyr-Nestor in Mobaye.

Seit gestern bin ich wieder in Bangui, und so möchte ich auf dem Weg unseres Internet-Blogs wieder ein paar Grüße senden – und in den nächsten Tagen auch ein paar neue Eindrücke von hier.

Coronavirus, Teil 3

COVID 19
aus: https://www.afro.who.int/fr/countries/central-african-republic

Die aktuellen Zahlen (10.7.2020) aus der Zentralafrikanischen Republik: 4.259 auf Covid 19 positiv getestete Personen, 53 Todesfälle (Schätzungen zur Dunkelziffer liegen nicht vor).

Das ist nicht viel gegenüber den Ländern Europas, Amerikas und Asiens. Gott sei Dank. Aber es reicht, Teile der ohnehin schwachen Wirtschaft des Landes weiter zu lähmen: den internationalen Handel, das Engagement von Nichtregierungsorganisationen, den Schulbetrieb. Alles „Offizielle“ ist ausgebremst. Dagegen scheint unser Alltag in der Hauptstadt Bangui unverändert quirlig weiterzulaufen. Trotz staatlich verordneter Maskenpflicht in der Öffentlichkeit gibt es kaum Menschen, die Mund und Nase bedecken. Die Straßenbars dürfen wieder öffnen, und ich habe den Eindruck, dass sich ihre Anzahl mit Covid 19 nicht verringert, sondern verdoppelt hat. Das Lebensgefühl spiegelt sich am ehesten in der Devise wieder: „Jetzt erst recht!“ und: „Irgendwie müssen wir mit dem Virus leben…“ (Jedenfalls die, die ihn für eine Realität halten. Viele tun das nämlich nicht.) Wir müssen damit leben.

Genauso wie mit der gewaltigen Masern-Epidemie, die auch in der Basse-Kotto vielen kleinen Kindern in den letzten Wochen das Leben genommen hat.

Genauso wie mit der Malaria. „Die Zahl der Todesfälle (weltweit) wird auf jährlich 1 Million geschätzt; betroffen sind vor allem Kinder im subsaharen Afrika.“ (in: Löscher, Thomas / Burchard, Gerd-Dieter, Tropenmedizin in Klinik und Praxis, 4. Aufl., Stuttgart, 2010).

Heute mag die Zahl global niedriger ausfallen; zigtausende Opfer dürften es aber weiterhin in der Zentralafrikanischen Republik sein. Ein Blick in unser Distriktkrankenhaus genügt: Es gibt keine Moskitonetze.

Da fließen also jetzt reichlich Gelder zur Eindämmung von Covid-19, die vor allem dafür eingesetzt werden, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Malariapatienten schlafen aber weiter ohne Schutz auf ihren Krankenhausbetten, will heißen, dass den Anophelesmücken viele mit Malariaparasiten angereicherte Blutmahlzeiten zur Verfügung stehen. Und die tödliche Krankheit breitet sich ungebremst weiter aus.

 

Nur die Zukunft wird zeigen, ob die Prioritäten, die jetzt gesetzt werden, richtig gewählt sind.

Coronavirus, Teil 2

Ich bin seit Samstag Abend wieder in Bangui und habe Internet.

Es scheint, dass das Coronavirus noch nicht in Mobaye angekommen ist. Aber genau weiß das natürlich niemand. Eine Testmöglichkeit gibt es vor Ort nicht, im Verdachtsfall wird eine Probe entnommen und per Flugzeug nach Bangui geschickt.

Seit dem Monat März galten in der Zentralafrikanischen Republik eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie: Distanz halten, kein Händeschütteln, Schulen geschlossen, Bars und Kneipen geschlossen, keine öffentlichen Gottesdienste, keine großen Menschenansammlungen, deren Teilnehmerzahl die 15 übersteigt. Die Märkte und unzähligen Straßenläden blieben dagegen weiter geöffnet… Wer schon einmal die Gelegenheit gehabt hat, ein Land im subsaharen Afrika zu erleben, wird sofort die Stirn runzeln und sich sagen: „Wie soll denn das funktionieren??“ – Und das ist genau das, was die Menschen mir hier ständig sagten: „Bei euch in Europa mag das ja gehen, bei uns aber nicht!!“

Die katholische Kirche, der Verbund der Evangelischen Kirchen und der muslimische Dachverband hatten sich Ende März mit dem Präsidenten des Landes darauf verständigt, keine öffentlichen Gottesdienste in Kirchen und Moscheen zu feiern. Allerdings waren es nur wir, die Katholiken, die sich an die Abmachung hielten, auch bei uns in Mobaye. Die Protestanten waren davon überzeugt, dass man jetzt erst recht viel und laut und in großen Massen beten müsse, nur so ließe sich der Virus fern halten. Die Muslime meinten, dass ein Verbot öffentlicher Gebetsversammlungen eh nichts bringe: wenn Gott beschlossen hat, dass Du am Virus stirbst, werden daran die Schutzmaßnahmen nichts ändern. Wenn Gott beschlossen hat, dass Du am Virus nicht stirbst, dann kannst Du Dich so oft Du willst in großen Menschenansammlungen treffen.

So einfach ist das.

Als Katholiken standen wir mit unserer Option, der Regierung zu folgen, ziemlich schlecht da, auch und gerade bei unseren eigenen Leuten. Wir feierten jeden Sonntag zwei Gottesdienste parallel, den einen in der Kapelle der Schwestern, den anderen in der großen Kirche. Dabei versuchten wir die Teilnehmerzahl von 15 nicht zu überschreiten. Das hatte zur Folge, dass etliche Leute draußen vor der Kapelle der Schwestern hockten, und andere sich dann doch in unser großes Gotteshaus schleichen. Aber der Großteil blieb verärgert zu Hause oder ging zu den Protestanten, die eifrig weiterfeiern. Und im Viertel mussten sich unsere Leute anhören, wie kleingläubig Katholiken sind: Die kleinste Ankündigung einer Krankheit, und sie verriegeln die Kirchentüren…

Seit Pfingsten jedoch haben sich die Vorschriften geändert. Unter Wahrung der Abstandsregel und Hygienemaßnahmen sowie Maskenpflicht dürfen wir nun wieder öffentlich Gottesdienste feiern (wobei so gut wie niemand auch wirklich eine Maske aufsetzt und einen Meter Abstand zu seinem Nachbarn hält).

Auch wir im Bistum Alindao (Caritas und Codis) organisieren Aufklärung zu Covid 19

Aber nicht nur die Vorschriften, sondern auch die Zahlen der Neuinfektionen haben sich geändert. Während die Zentralafrikanische Republik in den Monaten März und April bis Mitte Mai nur vereinzelte Fälle zählte, schnellte  die Zahl der Infizierten und Erkrankten seit Mitte Mai sprunghaft in die Höhe, wenn auch nicht in europäischen oder amerikanischen Dimensionen (4000 Infektionen, knapp 40 Tote). Gleichzeitig entschied man sich, die ohnehin kaum respektierten Schutzmaßnahmen zu lockern. Irgendwie scheint man mehr auf die Entwicklung im Westen zu schauen als auf die im eigenen Land…

Eines jedoch bleibt geschlossen: die Schulen. Seit Wochen heißt es, die Abschlussklassen sollten bald wieder die Schulbank drücken, um das Jahr nicht zu verlieren… Aber bislang geschieht nichts. Rebellion und Corona haben eine ganze Generation von Schulkindern in endlose „Ferien“ geschickt.

Und zu all dem zeichnet sich eine weitere Herausforderung am Horizont ab, die der ganzen Corona-Krise noch einen politischen Aspekt verleiht: Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Dezember. Aber das ist ein anderes Thema, für einen späteren Zeitpunkt.

Ach so, fast hätte ich es im aufkochenden Corona- und Wahlkampfrausch ganz vergessen: Die Rebellen haben wir auch noch. Und sie werden immer dann aktiv, wenn es gerade nicht passt.

 

 

Eine Taufe im Krankenhaus

Eigentlich sollten wir jetzt auf dem Heimweg irgendwo zwischen Bangui und Sibut sein. Aber erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt… (Brigitte kann ein Lied davon singen).

Seit zwei Wochen saßen wir in unserem Haus in Mobaye im Dunkeln. Der Stromgenerator, der uns pro Tag zwei Stunden Elektrizität lieferte, war irreparabel kaputt gegangen. Drei Ersatzteile müssen her. Seit unserer Ankunft in Bangui am Montag sind wir, neben vielem anderen, auf der Suche danach. Erfolglos. Nun hat sich jedoch gestern Abend noch eine neue Möglichkeit aufgetan, vielleicht finden wir noch etwas bei einem nigerianischen Händler. Aber der ist erst ab 9 Uhr erreichbar. Also Warten…

Und so nutze ich die Zeit, noch einen Blogeintrag zu schreiben.

Der Alltag ist hier so reich an schönen kleinen Momenten, die unter der Last der schwierigen Augenblicke oft untergehen. Von einem jedoch möchte ich deshalb jetzt berichten.

Unsere Kapellengemeinde Bololangandji hatte unter dem Krieg sehr gelitten. Das kleine Gotteshaus war fast vollständig zusammengebrochen. Aber die Gemeinde ist recht aktiv, der Katechist sehr engagiert, und so haben sie sich an die Arbeit gemacht, ihre Kapelle wieder aufzubauen.

Sieben Säcke Zement haben wir ihnen zur Unterstützung gebracht. Das Geld dazu stammt aus einer Hilfe, die das Erzbistum Paderborn uns zur Verfügung gestellt hat: Erlöse aus dem Eine-Welt-Café des Libori-Festes. Vielleicht haben ja auch einige von Euch dort eine Bratwurst gegessen; Dankeschön dafür!

Auf dem Rückweg wurden wir am kleinen Krankenhaus von Langandji angehalten. Ob wir ein Neugeborenes mit seinen Eltern nach Mobaye evakuieren könnten, dort sollte es weiterbehandelt werden. – Klar, gar kein Problem.

Taufe 6

Der kleine Junge war tags zuvor auf die Welt gekommen, mit einer beidseitigen Lippenspalte und Deformationen an Händen und Füßen.

Taufe 1Schon auf dem Weg in unser Krankenhaus haben wir mit den Eltern gesprochen, Ihnen von Dr. Onimus und seinen chirurgischen Missionen erzählt. Allerdings müsste das Kind noch wachsen; im Alter von zwei Jahren könnte man an eine Operation denken.

Im Krankenhaus von Mobaye wurde der Kleine erst einmal stationär aufgenommen, um ihn  antibiotisch abzudecken, aber mehr konnte man auch dort nicht tun.

Die Eltern sind in unserer Kapellengemeinde sehr engagiert, im Krieg haben sie alles verloren, deshalb leben sie bis heute auf ihrem Feld in einer kleinen Strohhütte. Später, wenn die Mittel da sind, wollen sie ein neues Haus bauen.

Unter diesen Umständen ist die „Prognose“ des kleinen Jungen „infaust“, wie man so sagt.

Also habe ich mit den Eltern gesprochen und sie gefragt, was sie davon halten würden, ihr Kind noch am selben Tag im Krankenhaus taufen zu lassen. Die beiden fanden die Idee klasse; Charles, unser Katechet, war einverstanden, die Patenrolle zu übernehmen; zwei Messdiener waren spontan zur Stelle, und so konnte es, unter großer Anteilnahme von Angehörigen anderer Patienten, losgehen…

Zwei Tage später wurde der kleine Junge entlassen. Wie es ihm heute geht, weiß ich nicht, aber in guten Händen ist er ja jetzt irgendwie.

 

Coronarvirus auch in Zentralafrika

Ich frage mich, ob inmitten Eurer Sorgen und Nöte da überhaupt Raum ist für einen Blick nach Afrika…

Für ganz wenige Tage bin ich in Bangui gewesen. Wegen des Coronarvirus. Der hat die ganze Welt so durcheinandergewirbelt, dass die Folgen auch bei uns im fernen Mobaye zu spüren waren, auch wenn der Virus dort (höchstwahrscheinlich) noch gar nicht angekommen ist.

BrigitteBrigitte Peerenboom wollte drei Monate ihres Sabbatjahres mit uns verbringen. Viel Zeit hat sie uns geschenkt, Gesangsstunden in der Grundschule und Gitarrenunterricht auf unserer Veranda für eine große Anzahl von Jugendlichen, Mithelfen bei den alltäglichen Kleinigkeiten, die anfallen, auch mal das Auto fahren. Mitleben, Mitbeten, Mitarbeiten.

Als das Virus sich immer weiter ausbreitete, wollte sie anfangs bei uns bleiben. Als sie am vergangenen Samstag jedoch die Nachricht erhielt, dass ihr Rückflug nach Ostern  schon jetzt ersatzlos gestrichen worden ist, haben wir es alle für besser gehalten, noch zu versuchen, einen letzten Evakuierungsflug in Bangui zu erreichen. Und das hat Dank der Vermittlung des österreichischen Konsuls bei der Botschaft Frankreichs auch geklappt. Mit einem französischen Militärflieger ist sie vorgestern ausgeflogen.

Seit gestern sind per Präsidentenerlass auch weite Teile des öffentlichen Lebens in Bangui lahmgelegt. Von einer „Quarantäne“ kann man aber noch längst keine Rede sein; eine Ideee, die sich in der Art und Weise, wie Ihr sie gerade in Europa lebt, hier gar nicht umsetzen ließe. Viel zu schwach ist das wirtschaftliche Netzwerk auf der Makro- und Mikroebene. Krass ausgedrückt: Wer eine Woche zu Hause bleibt, erkrankt vielleicht nicht am Coronarvirus. Stirbt aber den Hungertod…

Alles es steht in den Sternen, wie die nächsten Wochen hier aussehen werden. Allerdings ist dieser Sternenhimmel schon jetzt von schweren Wolken verhangen. Die Prognosen sind düster, selbst wenn das tropische Klima und die Alterspyramide (über die Hälfte der Zentralafrikaner sind jünger als 15 Jahre) vielleicht ein wenig Hoffnung auf einen weniger dramatischen Verlauf der Pandemie machen.

Offiziell gibt es mittlerweile fünf nachgewiesene Corona-Fälle. Allen Patienten geht es soweit gut, man hat zwei oder drei schon für geheilt erklärt.

Ich glaube, dass das eine Lüge ist. Die ersten vier kontaminierten Menschen kamen aus Frankreich und Italien. Und dies sollen niemanden angesteckt haben? Der fünfte ist als erste lokale Infektion deklariert worden. Nur ein einziger Fall, wobei in allen anderen Ländern die Kurve in solchen Momenten exponentiell immer nach oben geschnellt ist?

Sicher, es gibt im ganzen Land nur ein Labor, das den Nachweis erbringen kann: das  Institut Pasteur, das ist so etwas wie das Robert-Koch-Institut in Deutschland. Aber die sollen nur fünf Personen positiv getestet haben, obwohl die Weltgesundheitsorganisation vor Ort Hunderten von Kontaktpersonen der ersten Infizierten nachgegangen ist?

Coronarvirus in Afrika – Ich halte Euch irgendwann wieder auf dem Laufenden, wenn ich wieder in Bangui sein werde. Für’s Erste wollen wir aber morgen rasch nach Mobaye zurück. Der Präsidentenerlass, sieht vor, dass „Bewegungen von Menschen aus der Hauptstadt in die Provinzen“ drastisch eingeschränkt werden sollen. Und bevor die Straße komplett abgeriegelt wird, versuchen wir, noch rauszukommen. Hoffentlich klappt’s.

Nilpferde, Teil 3

Neben der Erklärung von Hexerei gibt es noch eine weitere Deutung von aggressiven Nilpferden, die der ersten allerdings recht ähnlich ist, nämlich die der Metamorphose. Ich habe bislang noch niemanden getroffen, der diese Möglichkeit bestreitet.

„Metamorphose“ heißt im hiesigen Zusammenhang so viel wie die Verwandlung eines Menschen in ein Flusspferd. Wenn es zu einer Attacke auf dem Wasser gekommen ist, höre ich immer wieder die Worte: „Das war kein Tier so wie Gott sie schafft. Das war ein verwandelter Mensch.“

CIMG9073 3Es handele sich dabei um zumeist Männer, die einen Pakt mit dem Bösen eingegangen seien. Nachts hielte sie nichts mehr im Haus, eine unwiderstehliche innere Kraft treibe sie hinaus an das Ufer. Dort angekommen entledigen sie sich ihrer Kleidung, werfen sich ins Wasser, drehen sich mehrfach um ihre eigene Achse und werden somit zu Nilpferden. Kurze Zeit später machen sie sich auf die Suche nach einem ahnungslosen Opfer.

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Zeugen dafür gäbe es. Die, die eine Verwandlung mit eigenen Augen gesehen hätten. Und Fischer auf dem Wasser, die plötzlich neben sich eine Piroge mit einem Menschen sähen, wo zuvor weit und breit niemand zu erkennen war. Hier handele es sich um ein rasch rückverwandeltes Nilpferd.

Und Geständnisse gibt es ebenso. Menschen, die sagen: „Ja, ich besitze die Kraft, mich in ein bösartiges Flusspferd zu verwandeln. Und ich habe auch schon getötet.“

Ein fataler Angriff hat weitreichende Folgen. Die Fischer wagen sich nicht mehr auf den Fluss. Aber ganze Dörfer leben vom täglichen Fischfang, und so bleiben wirtschaftliche familiäre Katastrophen nicht aus.

Wer trotzdem den Mut hat, auf den Fluss hinauszufahren und wer womöglich in einer solchen angespannten Situation einen guten Fang macht, macht sich gleichzeitig verdächtig. Vielleicht ist er ja selber das mörderische Nilpferd, das alle Konkurrenten vertreibt…

Und warum jagt man die Flusspferde nicht? – Weil sie unter strengem Artenschutz stehen, auch in der Zentralafrikanischen Republik. Freilich versteht diese Auflage niemand mehr, wo es um Menschenleben geht. Zudem hat das Umweltministerium die Befugnis, Tiere zum Abschuss freizugeben.

Aber Dickhäuter lassen sich nicht mit einfachen Jagdgewehren zur Strecke bringen. Einmal hat ein gefürchteter Seleka-Milizionär mit seiner automatischen Waffe auf ein Tier geschossen. Ohne Erfolg.

Irgendwie sind alle ratlos. Aber da es sich ja nicht um „echte“ Tiere handle, sei die Jagd nochmal schwieriger.

Grausam ist all das, und ich bin nochmal ratloser. Für mich ist die Vorstellung von Metamorphosen – Menschen werden zu Tieren – nicht nur irrational (aber Rationalitäten gibt es ja nur im Plural), sondern vor allem unbiblisch. Der Mensch steht in seiner einzigartigen Verfasstheit als Mensch vor Gott, sowohl im Diesseits als auch im Jenseits. Die ganze biblische Offenbarung spricht von jenem vertrauensvollen „Ja“, das Gott zu einem jeden Geschöpf in seiner Einmaligkeit sagt. Das „Ja“ Gottes zum Menschen ist ein anderes als sein „Ja“ zum Nilpferd. Auch wenn das jetzt witzig klingt…

Levy ist Anfang Januar gestorben, letzte Woche hat es einen ähnlichen Todesfall in unserer Kapellengemeinde Mafunga gegeben, und vorgestern ist ein junger Mann in Lembo Opfer einer Nilpferd-Attacke geworden.

 

 

 

Nilpferde, Teil 2

Wer war schuld am Tod von Levy?

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Wie gesagt, in allen Artikeln über das Verhalten von Nilpferden ist davon die Rede, dass es sich dabei um höchst aggressive Tiere handelt, und es scheint so zu sein, dass sie selbst auch ohne für uns erkennbaren Grund Menschen angreifen.

Aber mit einer solchen Erklärung, die natürlich Fragen offen lässt, gibt sich hier niemand zufrieden. Und so kommt jetzt die „unsichtbare Welt“ ins Spiel.

Zwei junge Männer, die Zeugen des Angriffs waren, hatten nämlich noch mehr zu berichten: dass Levy, als sie ihn ins Krankenhaus brachten, immer wieder den Namen seiner Frau ausgesprochen und sie beschuldigt habe: „Sie bringt mich um.“

Noch während Levy in Behandlung war, regte sich erster Unmut gegen die junge Mutter von drei kleinen Kindern. Tatsächlich war es zu Streit zwischen beiden am Vortag gekommen, irgendwie „hing der Haussegen schief“. Als Levy schließlich starb, war seiner Familie klar: Durch ein magisches Ritual hatte seine Frau das gefährliche Tier auf ihn gehetzt. In die Trauer mischte sich nun rasende Wut.

Als der Leichnam aufgebahrt war und ich wieder Richtung Krankenhaus zurückfuhr, hatte die junge Witwe mit ihren drei kleinen Kindern auch schon Zuflucht bei der Präfektin gesucht. Sie hatte Todesangst. Nur allzu gut wusste sie, dass man sie noch am selben Abend umbringen könnte. Auch die Blauhelmsoldaten waren schon zur Stelle. In ihrer Begleitung sind wir mit der Präfektin und der jungen Frau nochmals zum Trauerhaus gefahren. Es dauerte nicht lange, da flog auch schon der erste Stein. Einer von Levys Cousins wollte seine Schwägerin erschlagen. Die Blauhelmsoldaten haben den jungen Mann verhaftet. Unter Militärschutz sind wir wieder zurückgefahren, die Frau sollte die Nacht in der Kaserne der Minusca-Soldaten verbringen.

Am nächsten Morgen fand in unserer Kirche der Trauergottesdienst statt, aus Sicherheitsgründen war die Witwe nicht dabei. In der Predigt habe ich natürlich von der Hoffnung auf Auferstehung und Vollendung gesprochen; vor allem aber auch darüber, dass Gewalt keine Antwort auf den so sinnlos erscheinenden Tod von Levy sein darf! Ich glaube, dass unsere Liturgie die Herzen der Trauernden etwas beruhigen konnte.

Auch wenn Levys Mutter heute immer noch nicht von der Unschuld ihrer Schwiegertochter überzeugt zu sein scheint, hat sein Vater doch eine Lanze für die junge Frau gebrochen und erklärt, dass er davon überzeugt sei, dass sie nicht für den Tod seines Sohnes verantwortlich sei. Jetzt gehe es einfach nur darum, den Kindern eine gute Zukunft zu verschaffen.

 

 

 

 

 

Nilpferde

Es kommt sogar in der Bibel vor, das Flusspferd, auch wenn da eine starke mythologische Komponente mitschwingt: „Sieh doch das Nilpferd, das ich wie dich erschuf. Gras frisst es wie ein Rind“, sagt Gott zu Hiob, aber sein bloßer Anblick bringt zu Fall.  So kühn ist keiner, es zu reizen. Wer hat die Tore seines Gesichts geöffnet? Rings um seine Zähne lagert Schrecken. Erhebt es sich, erschrecken selbst die Göttlichen; vor Schrecken wissen sie nicht aus noch ein. (Hiob 40,15; 41,1b.2a.6.17).

Die Erfahrung, wie gefährlich diese auf den ersten Blick behäbigen Dickhäuter sind, haben also schon die Völker der Antike gemacht. Und die Menschen am Ubangi machen sie bis heute. Auch wir in Mobaye.

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Wenn wir mit unserem Einbaumboot die Kapellengemeinden am Fluss besuchen, begegnen uns immer wieder Nilpferde. Meist liegen sie dösend im Wasser. Nachts kommen sie zur Nahrungssuche an Land. Dann sehen wir sie zwar nicht, hören aber ihr Grunzen bis ins Pfarrhaus. Sie ernähren sich von Gras oder dem, was auf den Feldern am Ufer angepflanzt wurde: Erdnüssen, Mais und ähnlichem. Am nächsten Morgen bleibt nur noch ein verwüsteter Acker zurück.

Weit schlimmer als die Vernichtung von Ernten ist jedoch die Aggressivität dieser reinen Pflanzenfresser. Ohne jeglichen Grund greifen sie Fischer in ihren kleinen Pirogen an, vor allem nachts und in den frühen Morgenstunden, aber auch am helllichten Tag kann es zu Attacken kommen. In Internetartikeln über das Verhalten von Flusspferden heißt es häufig, dass diese angreifen, wenn sie sich bedroht fühlen. Doch die Erfahrung der Menschen am Ubangi geht weit darüber hinaus: Eine ruhig auf dem Wasser liegende Piroge kann zum Angriffsobjekt eines Nilpferdes werden, das sich anfangs noch in weiter Entfernung befand. Das mehrere Tonnen schwere Tier nimmt den Menschen wahr, trotz seiner schwachen Augen, taucht unter und schwimmt auf das Boot zu. CIMG9073 3Zumeist bemerkt der Mensch die drohende Gefahr überhaupt nicht. An seinem Ziel angekommen, taucht das Flusspferd wieder auf und schleudert die Piroge mit dem oder den Menschen in die Luft. Mit Hilfe seines ausgeprägten Geruchssinnes spürt es seine Opfer im Wasser auf und schlägt mit seinem Opferkiefer und den mächtigen Hauern auf sie ein. Die schweren Verletzungen führen häufig zum Tod.

Im Januar hat sich genau dieses Szenario auf dem Ubangi vor Mobaye abgespielt. Opfer war ein Fischer namens Levy, der am frühen Abend auf dem Fluss unterwegs war. Das Nilpferd hat ihn gepackt und noch bis ans Ufer gezogen. Von dort haben Augenzeugen ihn rasch ins Krankenhaus gebracht. Hier ist er drei Tage später verstorben.

An jenem Sonntagnachmittag fuhr ich ebenfalls zum Krankenhaus, um einige Leute dort zu besuchen. Levy war gerade gestorben, und so habe ich mit seiner Familie nach einiger Zeit die Leiche zum Haus gefahren. Es gibt ja kein Bestattungsunternehmen hier. Nun darf man sich das nicht vorstellen wie den Transport eines Verstorbenen in Deutschland, das heißt still und diskret. Hier wird ein solcher Leichenzug von markerschütternden Schreien begleitet, die ganze Stadt ist außer sich, die Menschen kommen in Massen zum Krankenhaus gerannt, weinend und kreischend, und folgen dann dem Wagen bis zum Haus des Verstorbenen. Dort wurde Levy an jenem frühen Abend draußen aufgebahrt, so wie es dem Brauch entspricht.

Am nächsten Morgen, als der Sarg fertiggezimmert war, wurde der Verstorbene in unsere Kirche gebracht, wo wir dann den Auferstehungsgottesdienst gefeiert haben. Danach fand die Beerdigung neben dem kleinen Haus der Familie statt (nur die allerwenigsten Menschen werden bei uns auf dem Friedhof bestattet).

Ein solches Unglück zu akzeptieren ist immer und überall schwer. Wie kann Gott so etwas zulassen? – Hier in Zentralafrika wird die Frage jedoch anders gestellt: Wer ist schuld am Tod von Levy?

In Ausbildung

Wer auf unsere Spiritanermission hier in der Zentralafrikanischen Republik schaut, wer danach fragt, wie unsere alltägliche Arbeit in Pfarreien und Projekten aussieht, dem wird auf den ersten Blick vielleicht der materielle und finanzielle Mangel ins Auge springen. Auf einen zweiten Blick jedoch zeigt sich ein anderes Problem, das mir noch viel gravierender scheint: unsere arg begrenzten „ressources humaines“, um es in einem vermeintlichen Fachjargon zu sagen. Oder einfach: Wir sind zu wenig Spiritaner im Land, um auf alle Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Was tun? Backen kann man keine neuen Mitbrüder, aber diejenigen begleiten und ausbilden, die sich auf das Wagnis eines missionarischen Ordenslebens einlassen wollen.

Doch die Ordensausbildung geistlicher und professioneller Art ist langwierig, manchmal auch mühsam, und vor allem kostspielig. Für die Kandidaten der verschiedenen Spiritanerprovinzen im zentralen Afrika gibt es gemeinsame Ausbildungshäuser in Gabun und in Kamerun. Dort werden in der Regel auch unsere jungen Leute hingeschickt. Postulat

Der erste Schritt ins Ordensleben jedoch, das einjährige Postulat, erfolgt im jeweiligen Heimatland. Und so gibt es in Bangui das Théodore-Dobozendji-Haus, in dem zur Zeit drei Postulanten mit ihren Ausbildern leben: Bienvenu, Régis und Privat. Hinzu kommen zwei Studenten im ersten Studienjahr. Sie hatten ihr Visum für Gabun nicht bekommen und studieren deshalb Philosophie am Seminar Saint Marc in Bangui: Ben-Sirac und ein anderer Bienvenu.

Zwei der fünf Anwärter haben auch schon ein Praktikum bei uns in Mobaye gemacht.

Ein Ausbildungshaus trägt sich finanziell nicht allein. Die Familien unserer Ordenskandidaten haben kaum Möglichkeiten, für Studium und Alltag der jungen Leute zu bezahlen. Zwar gibt es Unterstützung aus dem sogenannten „Cor Unum“-Fond des Vatikans, aber auch die reicht nicht aus, um alle Kosten zu decken. Deshalb ist die Solidarität aller Spiritanergemeinschaften im Land gefragt. Und so bringen wir aus Mobaye Maniok, Reis, Erdnüsse und manchmal auch geräucherten Fisch mit, eben das, was wir bei den Gabenprozessionen in den Gottesdiensten erhalten. Und manchmal helfen wir unserem Ausbildungshaus auch mit Euren Spenden. Damit wir Spiritaner unseren Missionsauftrag auch auf lange Zeit hin erfüllen können. Und dafür braucht es eben gut ausgebildete und engagierte junge Mitbrüder.

Von einem spanischen Nuntius

Gestern ist unsere jährliche Spiritanerversammlung zu Ende gegangen. Zum Abschlussgottesdienst war der Apostolische Nuntius gekommen, Santiago De Wit Guzmán, ein spanischer Bischof, der den Vatikan bei uns in der Zentralafrikanischen Republik und im benachbarten Tschad vertritt.

Nuntius 2

Diplomatischer Dienst im Auftrag des Papstes. In Deutschland ist mir dieser Teil von Kirche kaum im Bewusstsein, und ich gebe zu, ich wüsste jetzt auch überhaupt nicht, wer der Botschafter des Vatikanstaates in Deutschland ist.

Hier ist das anders. Hier erlebe ich, dass die diplomatische Vertretung des Vatikans viel mehr Bedeutung und Einfluss ausübt als ich es anderswo wahrgenommen hätte, sowohl im innerkirchlichen als auch im politisch-öffentlichen Raum.

Könnte es aber auch sein, dass dabei ihre symbolische „Macht“ vielleicht noch größer und wichtiger ist als ihre realpolitische?

In einem Phantomstaat, der von Kriegsherren und Korruption kontrolliert und manipuliert wird, könnte die weißgelbe Fahne am Dienstwagen des Diplomaten so etwas wie ein Symbol sein, das sagt: „Ihr seid vom Rest der Welt nicht vergessen“, denn die katholische Kirche ist weltumgreifend. Und: „Ihr als Ortskirche seid Teil einer großen solidarischen Weltgemeinschaft“.

Aber vielleicht sehe ich das angesichts der Skandale im Herzen unserer Kirche auch alles zu idealistisch.