Ein Jahresbericht

Vor einiger Zeit bekam ich den «DSW-Datenreport 2023» in die Hände, oder besser gesagt: auf den Bildschirm meines Telefons gespielt (www.dsw.org). Das ist eine Art Jahresbericht der «Deutsche(n) Stiftung Weltbevölkerung». In umfangreichen Tabellen präsentiert er «soziale und demographische Daten weltweit» für das Jahr 2022. Unter verschiedensten Kriterien werden die Länder der Erde bemessen: «Bevölkerung», «Binnengeflüchtete», «Wachstumsrate» und vieles mehr. Eine Spalte hat dabei meine besondere Aufmerksamkeit geweckt: «Todesfälle pro 1.000 Einwohner*innen».

Den traurigen Spitzenplatz belegt die Ukraine: 21 Menschen von 1.000 Bewohnern haben in 2022 den Tod gefunden. Das ist der Krieg. Auf «Platz 2», mit 20 Verstorbenen (oder Getöteten) auf 1.000 Einwohnern liegen wir, die Zentralafrikanische Republik. Das hätte ich so nicht erwartet. Bei uns sind es aber keine Drohnen oder Raketen wie in der Ukraine, sondern wohl eher ein durch Rebellion und Korruption zerstörtes Staatssystem, das viele Menschen viel zu früh sterben lässt. Ohne Lärm, ohne Aufschrei.

Wiedersehen nach 14 Jahren

Vom 8. bis 14. April waren wir wieder mit unserer Mobilen Klinik unterwegs, diesmal am anderen Ende unserer Diözese – von Mobaye aus gesehen. An sechs Tagen haben wir in zwei Dörfern im nordwestlichen Zipfel der Basse-Kotto mehr als 800 Patienten behandelt – eine so hohe Zahl wie nie zuvor.

Gleichzeitig bot sich mir die Gelegenheit, einen unserer kleinen Patienten von damals wiederzusehen. Im Jahr 2010, als ich als «Missionar auf Zeit» in Alindao gelebt und gearbeitet habe, hatten wir die Möglichkeit, Kinder mit verschiedensten Fehlbildungen einem französischen Kinderchirurgen vorzustellen, der sie dann in Bangassou operierte. Unter ihnen war auch der damals sechsjährige Aurélien mit einer Lippen-Gaumenspalte.

Den Tag des chirurgischen Eingriffs werde ich nie vergessen: Im Operationssaal war der Verschluss der Lippe problemlos verlaufen. Im «Aufwachraum» (was aber nicht mit einem solchen in Deutschland zu vergleichen ist) wurde seine Atmung jedoch plötzlich flacher und blieb nach kurzer Zeit stehen. Glücklicherweise war der Narkosearzt aus dem OP sofort zur Stelle und hat mit den Wiederbelebungsmaβnahmen begonnen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich nur gedacht habe, dass ich den Jungen doch jetzt nicht tot wieder nach Hause fahren kann… Gott sei Dank hat er nach einer für mich ewig langen Zeit wieder begonnen zu atmen. Und das tut er bis heute.

In einem kleinen Dorf am Ubangi, Teil 2

Nach dem Gottesdienst begann die Arbeit der mobilen Klinik. Etliche Patienten, aber keine akuten Notfälle. Bis zum späten Nachmittag. Man brachte in kleines Mädchen zu uns, es war ein paar Monate alt. Schwere Atemnot, hohes Fieber, der Innenflächen der Hände und die Fußsohlen waren kalkweiß. Das sah nach einer schweren Malaria mit Lungenentzündung und vor allem einer bedrohlichen Blutarmut aus. Wir haben Antimalariamittel, Antibiotika und ein fiebersenkendes Mittel verabreicht. Mehr konnten wir nicht tun. Es gibt bei einer mobilen Klinik keine Möglichkeit der Blutübertragung und auch kein Sauerstoffgerät.

Am Abend haben wir unsere Arbeit beendet, doch als wir schlafen gehen wollten, hörten wir die Klageschreien der Frauen. Das kleine Mädchen war gestorben.

Solche dramatischen Dinge ereignen sich täglich in den Dörfern der Zentralafrikanischen Republik.

Unser Fall war jedoch noch einmal “gefährlicher”: Das Mädchen war die kleine Schwester des epilepsiekranken Kindes M. Niemand hat es ausgesprochen, aber man konnte es in den Augen Aller lesen: Auf der Familie lastet doch ein Fluch! Und irgendjemand muss dafür verantwortlich sein…

Ich habe das Kind am nächsten Morgen beerdigt. Trauer lag in der Luft, aber vor allem eine ungute Spannung.

Nach der Bestattung haben wir die mobile Klinik wieder aufgenommen. Mit einem Ohr warteten wir den ganzen Tag auf Neuigkeiten aus der Familie des verstorbenen Mädchens. Aber bis zum Abend blieb alles ruhig. Wir haben die mobile Klinik beendet, sind noch einmal zu der Trauerfamilie gegangen, haben unser Beileid ausgedrückt, gebetet und die Familie inständig gebeten, die Trauer nicht zur blinden Wut werden zu lassen. Niemand ist Schuld am Tod der Kleinen. Und als Christen schauen wir zum Himmel auf, und suchen Antworten nicht in der Hölle. Denn Jesus hat einmal gesagt: “Hütet Euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage Euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters” (Mt 18,10).

Gut geschlafen haben wir in dem Dorf alle nicht. Derartige Situationen können eskalieren. Irrationale Gewalt kann ganz schnell ausbrechen.

Aber schließlich ist alles friedlich ausgegangen. Nach drei Tagen haben wir die Klinik gut zu Ende gebracht, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Dorfchef uns sehr unterstützt und ebenfalls zur Besonnenheit aufgerufen hat.

In einem kleinen Dorf am Ubangi

Das Leben in unseren Außenstationen entlang des Ubangi-Flusses spielt sich gemächlich ab: Fischfang und Feldarbeit verschaffen das zum (Über-)Leben Notwendige. Es gibt einen Dorfchef mit mehreren «Unterchefs» an seiner Seite. Ein Schulgebäude existiert nicht; unser Katechet J. unterrichtet Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse unter einem Dach aus Palmzweigen. Ein Gesundheitsposten befindet sich im Bau, ein Dorfgesundheitshelfer ist vor Ort, aber er besitzt weder ein Fieberthermometer noch ein Blutdruckmessgerät noch eine Waage, und Medikamente gibt es kaum.

Als die Lage 2017 in unserer Gegend besonders gewalttätig war, wurde das Dorf ein wichtiger Stützpunkt der Anti-Balaka-Milizen.

All diese Koordinaten lassen erahnen, dass Friede und Sicherheit in solchen Dörfern auf sehr wackligen Beinen stehen.

Und so erfuhren wir vor einiger Zeit, dass es Unruhe gab in unserer Kapellengemeinde. Die Gemeinderäte hatten den Katechisten abgesetzt. J. sei der Hexerei überführt worden.

Alles begann vor einem Jahr. Da kam einer der Dorfchefs mit seiner 13 jährigen Tochter M. zu uns nach Mobaye. Sein Kind leide schon seit langer Zeit immer wieder an Anfällen: Stürze zu Boden, Konvulsionen, Schaum vor dem Mund. Das klassische Bild der Epilepsie. Sie hätten es mit traditioneller Medizin versucht – ohne Erfolg. Wir haben den Vater mit seiner Tochter zum Ausschluss anderer Krankheiten in unser Krankenhaus geschickt. Dort bestätigte der Arzt unsere Diagnose «Epilepsie», und das Mädchen wurde in unser kleines Projekt zur Unterstützung von daran erkrankten Kindern aufgenommen. Wir haben begonnen, sie mit dem Medikament «Phenobarbitol» zu versorgen, der Standardbehandlung unter unseren eingeschränkten Bedingungen. Ein Routinefall. Dachten wir.

Nun passiert es bei knapp 10% der Betroffenen, dass trotz der Einnahme des Medikaments Rückfälle vorkommen. So war es auch bei M. Manchmal wurde sie nachts von Anfällen geschüttelt.

Nach knapp einem Jahr war für die Familie klar: Die Tabletten nützen nichts, da muss noch mehr im Spiel sein…

Wer M. schließlich zu einem «General» der Anti-Balaka-Rebellen, die an einigen Orten noch weiterhin ihr Unwesen treiben, gebracht hat, wissen wir nicht wirklich. Fest steht, dass der Mann dem Mädchen dort irgendwelche «yoro» (Sammelbezeichnung für moderne, traditionelle oder «magische» Medikamente) in die Augen spritzte, damit sie den Hexer sähe und benenne, der sie krank mache. Und so habe M. dann – angeblich – den Namen unseres Katechisten J. und den eines alten Mannes im Dorf ausgesprochen.

Der Balaka-General hat dann das «Ergebnis» in das Dorf geschickt. Diese «Diagnose» musste die Familie mit umgerechnet 15 Euro bezahlen.

Widersprochen hat dem niemand, und für die Verantwortlichen unserer Außenstation war klar, dass J. seinen Dienst nun nicht mehr ausüben könne, bis er sein diabolisches Tun beende und zwischen ihm und dem Vater des Kindes ein «Versöhnung» stattgefunden habe. In der Zwischenzeit hatten sie den Chorleiter, einen jungen Mann, als Katechisten eingesetzt.

Da passte es gut, dass wir seit langem einen Besuch in dem Dorf mit unserer mobilen Klinik geplant hatten.

Unsere mobile Klinik im Einsatz

Schon im Voraus hatte ich einen Brief geschickt und unsere Gemeinderäte gebeten, sich um 15 Uhr zu einer Krisensitzung einzufinden.

Nun ist es in der hiesigen Kirche so geregelt, dass die Dorfkatecheten aus den eigenen Reihen von ihrer Gemeinde ausgewählt werden. Um ihren Dienst aber antreten zu können, brauchen sie die Zustimmung des verantwortlichen Pfarrers. (Im Vergleich zu Deutschland wird das hier sehr «locker» geregelt; dort braucht es für Gemeinde- und Pastoralreferenten – Referentinnen gibt es bei uns ja nicht! – die Beauftragung des Bischofs!). Das heißt für unseren konkreten Fall, dass die Gemeinderäte überhaupt nicht das Recht hatten, J. von seinem Dienst zu entbinden, ganz unabhängig von der Begründung, mit der sie das taten, nämlich dem Hexereivorwurf.

Um 16 Uhr haben wir mit unserem Treffen begonnen. Mit ganzer Wucht brach der Glaube an Fluch und Magie hervor, der Herz und Verstand fast aller Menschen in den Dörfern beherrscht. Besonders schwer wiegt immer die Angst vor einem Schadenszauber, der auf einer Familie laste. Und so nennt man mir vier Personen, die in den letzten zwei Jahren in eben dieser Familie verstorben sind.

Ja, es stimmt: Morbidität und Mortalität, Kranksein und Tod betrifft viele Menschen. Aber ist das verwunderlich, wenn es kaum medizinische Hilfe gibt, und zur Deutung der Ereignissen keine Bildung zur Verfügung steht?

Eine der vier zitierten Todesfällen betraf eine Frau, die an Blutsturz nach der Geburt ihres elften Kindes starb. Wahrscheinlich hatte sich die Gebärmutter nicht wieder zusammengezogen. Ein bösartiger Fluch, der auf der Familie lastet? Oder das unglückliche Zusammenspiel von zu rasch aufeinanderfolgenden Geburten, dem Fehlen einer medizinischen Grundversorgung und einer Kosmologie, die Krankheit in Beziehung zu Magie setzt?

Dasselbe Szenario im Falle der Epilepsie. Böse Geister, geschickt von einem Hexer, die das Kind immer wieder zu Boden werfen? Oder überschießende neurologische Aktivitäten im Gehirn, die sich mehr oder weniger gut behandeln lassen?

Ich habe versucht, der traditionellen Sicht auf Welt und Leid eine andere entgegenzusetzen: die christliche und die heilende. Vertrauen auf Gott und auf eine Medizin, die zugegebenermaßen ihre Grenzen hat.

Natürlich bin ich nicht der erste, der das versucht. Missionarinnen und Ärzte haben das vor mir getan. Aber Weltbilder ändern sich nicht von einem Tag auf den anderen, das braucht Generationen!

Und so blieb mir nichts anderes übrig, auch die «Autoritätskarte» zu ziehen, um dem «Unschuldigen» zu seinem Recht zu verhelfen: J. ist und bleibt Euer Katechet! Den Chorleiter, den ihr eingesetzt habt, können wir gern auf Probe als zweiten Katecheten behalten. Aber für alle ist es wohl besser, dass wir uns jetzt wieder «vertragen».

Eine Schlüsselfigur in der ganzen Angelegenheit, der Vater des Mädchens, war Gott sei Dank sehr einsichtig, ich würde sogar sagen, erleichtert. Er zeigte sich bereit, die Behandlung seiner Tochter mit Phenobarbitol wieder aufzunehmen, und zu akzeptieren, dass es selbst damit immer mal wieder zu Rückfällen kommen kann.

Am nächsten Morgen haben wir Gottesdienst gefeiert, mit einem symbolischen Akt der Vergebung und Versöhnung zwischen dem Vater und unserem Katecheten.

Alles hätte damit sein gutes Ende finden können. Hat es aber nicht.

Fortsetzung folgt

Elf Monate

Knapp elf Monate sind vergangen seit meinem letzten Eintrag. Vieles ist seitdem geschehen. In der großen Welt draußen, vor allem, und auch in unserer kleinen hier in der Zentralafrikanischen Republik.

Nach meiner Rückkehr nach Mobaye im vergangenen Dezember zog sich die Nichtregierungsorganisation, bei der wir bis dahin das Internet nutzen konnten, aus unserer Kleinstadt zurück. Seitdem war eine digitale Verbindung nur über den lokalen Mobilfunkanbieter möglich, aber die ist so schwach, darüber konnte ich nichts mehr auf diesem Blog veröffentlichen. Lediglich persönliche Nachrichten über WhatsApp und messenger sind bis heute möglich.

Im vergangenen Monat war ich auf Besuch in Deutschland. Während dieser Zeit ist leider mein Vater verstorben, so dass ich auch dort nicht die rechte Zeit und Ruhe fand, Einträge auf dieser Seite zu posten.

Nun bin ich wieder zurück in Bangui. Eigentlich wollte ich schon längst wieder in Mobaye sein, aber unser Auto steht kaputt in der Garage, und einen Platz in einem der kleinen Flieger der Vereinten Nationen kann ich frühestens im Mittwoch bekommen.

All das ist symptomatisch für eine Zentralafrikanische Republik, die in ihren hochkomplexen Problemen weiter versinkt. Eine wirkliche Perspektive, die Hoffnung auf ein besseres “morgen” macht, vermag ich nicht zu erkennen. Bildhaft für das ganze Land ist der Zustand seiner Hauptverkehrsstraßen, z.B. die einzige Route, die die Hauptstadt mit den östlichen Provinzen verbindet. Diese müssen auch wir nutzen, wenn wir über Land nach Alindao oder Mobaye reisen wollen:

Foto aufgenommen von einem unserer Mitarbeiter, vor wenigen Wochen zwischen Alindao und Mobaye

Links die ursprüngliche Straße; sie hat sich nach mehreren Regenzeiten und der Durchfahrt unzähliger LKWs der Blauhelmsoldaten mehrere Meter tief in die Erde hineingefressen. Rechts die eigenmächtig geschaffene “Umgehungsstraße”. Aber auch hier ist schon ein LKW im Schlamm versunken. Es heißt, jedes Jahr erhält die Regierung Gelder der Europäischen Union zum Unterhalt der Straßen. Doch das Geld „versinkt im Schlamm“. So wie wir.

Fortsetzung folgt

Eine gesegnete Adventszeit

Heute Abend heißt es den kleinen Koffer packen für den Rückflug nach Mobaye; morgen geht es auf die Reise, entweder mit einer kleinen Chesna oder einem Hubschrauber der Vereinten Nationen.

In Mobaye werde ich sicher wieder keine Gelegenheit haben, einen Eintrag auf diesen Blog zu stellen; deshalb von Bangui aus Euch allen eine gesegnete Adventszeit!

„Jerusalem, erhebe Dich, steig auf den Berg und schau die Freude, die von Deinem Gott zu Dir kommt.“

Bar 5,5;4,36 (Kommunionvers vom heutigen 2. Adventssonntag)

PS: Damit das Bild auch schön vorweihnachtlich wird (einen Adventskranz haben wir leider nicht gefunden in der Stadt), sind wir, Annette Funke und ich, in einen Supermarkt mit Weihnachtsbaum gegangen…

Ein verlorener Arm

Vor ein paar Monaten hatte Michel einen schweren Unfall erlitten. Als er einen Baum fällen wollte, stürzte ein schwerer Ast auf seinen rechten Unterarm. Elle und Speiche wurden zertrümmert und einige Zentimeter unterhalb des Armgelenks abgetrennt.

Irgendwie hatte er den Unfall überlebt und wurde ins Krankenhaus nach Mobaye gebracht. Hier konnte der Arzt zwar die Blutung stillen und die große Wunde verbinden, aber nun ragte der Knochen hervor, und die Wunde sollte sich bald infizieren. Nur eine Amputation würde ihn auf Dauer retten können. Aber die ist weder in Mobaye noch in Alindao noch im Regionalkrankenhaus von Gbadolite im benachbarten Kongo möglich. Für eine solche Operation muss der Patient nach Bangui evakuiert werden.

Michel und seine Schwester sind schließlich mit einem hölzernen Frachtboot über den Ubangui nach Bangui gefahren. Über zwei Wochen waren sie unterwegs gewesen. In der Unfallabteilung des «Hôpital communautaire» ging dann alles ganz schnell. Die Ärzte haben auf Höhe des Oberarms eine Amputation durchgeführt. Nun stehen noch zwei Verbandswechsel an, bevor Michel die Rückreise nach Mobaye antreten kann.

Ohne diesen Eingriff hätte er die nächsten Wochen sicher nicht mehr überlebt.

Alles in allem haben die Operation, der Krankenhausaufenthalt, die Medikamente und die Reise mit dem Boot umgerechnet etwa 500 Euro gekostet. Die haben wir aus Euren Spendengeldern bestritten, die über die Missionsprokur Knechtsteden bei uns angekommen sind. Dafür ein herzliches Dankeschön!

Die Familie selbst übernimmt die Kosten für Verpflegung und Unterkunft vor und nach dem Aufenthalt im Krankenhaus.

Weil bei Michel alles so glimpflich ausgegangen ist, sei ein skurriler Moment nicht verschwiegen: Während der Operation hatte Michels Schwester draußen vor dem OP-Saal gewartet. Nach einiger Zeit ging die Tür auf und der Arzt kam mit einem Tablett in der Hand hinaus. «Möchten Sie’s mitnehmen?», fragte er die Schwester, und zeigte dabei auf den abgetrennten Arm auf dem Teller. «Nö, wir sind nicht aus Bangui, würden Sie es bitte selbst hier vor Ort entsorgen?»

Nachher hat man mir erklärt, dass das hier so bei Amputationen üblich sei: Man bietet der Familie an, das abgetrennte Körperteil mit nach Hause zu nehmen und dort zu vergraben. Damit es im Nachhinein keine Gerüchte um Organhandel oder Zauberei gibt…

Dimitri

Der Name in der Überschrift täuscht: es geht nicht um einen Russen, sondern um einen jungen Zentralafrikaner.

Dimitri ist einer der vielen Menschen, die in unserer Gemeinde aktiv sind, und dabei hat er sogar einen kleinen Arbeitsplatz gefunden: in unserer Mobilen Klinik ist er der «Logistiker», kümmert sich also um die Versorgung unseres Teams bei den Einsätzen in den Dörfern. Vor allem ist er aber auch ein sehr guter Motorradfahrer und -mechaniker, und das auch noch mit Führerschein. Den besitzt, nebenbei gesagt, in den abgelegenen Landesteilen kaum jemand, denn einen Führerschein kann man nur in der Hauptstadt Bangui machen.

Dimitri ist in Yama-Oto zu Hause, ein Dorf in sieben Kilometer Entfernung von Mobaye. Fast jeder ist dort katholisch. Es gibt einen engagierten Katechisten, Messdiener, den Kirchenchor, Pfadfinder, den katholischen Mütterverein, und den Gemeinderat. Kurzum: Yama-Oto ist ziemlich aktiv.

Dimitri ist dreißig Jahre alt und hat vier Kinder. Und zwei Frauen. Das ist gar nicht so ungewöhnlich. Eine ganze Reihe von Männern in der Zentralafrikanischen Republik lebt polygam, hat zwei oder manchmal auch drei Frauen. Dimitris erste Frau stammt aus einem Nachbardorf, die beiden sind seit 10 Jahren zusammen. Als die Familie in 2017, während des Krieges, in den Kongo floh, hat er sich dort eine zweite Frau genommen.

(Links: Dimitri mit seinen beiden Frauen und den drei frisch getauften Kindern. Vorn sein ältester Sohn)

Neulich haben wir in Yama-Oto ein großes Fest gefeiert: Silvain, der Katechist, und seine Frau haben kirchlich geheiratet. Und gleichzeitig – wo ein Priester schon einmal vor Ort und das ganze Dorf auf den Beinen ist – durfte ich knapp zwei Dutzend Kinder taufen. Dimitri hat dazu gleich drei mitgebracht…